Lyle McDonald: „Wie werde ich mein eigener Trainer?“

Wie werde ich mein eigener trainer

Ein Artikel von Lyle McDonald. Den englischen Originaltext gibt’s hier.

Vor einige Monaten besuchte ich einen Teil von Dan Johns exzellentem „A Philosophy of Strength Training“ Seminar, das in Salt Lake City als Teil der Dave Draper Days gehalten wurde. Während des Seminars war eine Frage, die von einem der Zuschauer gestellt wurde, folgende: „Wie trainiert man sich selbst?“ Dan gab eine gewöhnlich ausführliche, doch – wie ich befürchte – etwas zu ausschweifende Antwort.

Nun, ich möchte hervorheben, dass ein guter Trainer viel mehr bieten kann, als ich in diesem Artikel besprechen werde. Zumindest eines dieser Dinge ist technische Führung, bei der man den Leuten beibringt, die Bewegungen und Übungen korrekt auszuführen. Ein verstörender Trend während der letzten 15 Jahre ist, dass die Anzahl der Menschen in Fitnessstudios, die richtig trainieren, weit von denen übertroffen wird, die falsch trainieren. Niemand weiß, was eine korrekte Technik ist und noch weniger, wie man sie jemandem beibringt und es macht mich etwas traurig, dass die Handvoll von Leuten, die bei den Übungen mit Gewichten eine gute Trainingsform verwenden, mehr hervorstechen, als das Gegenteil.

Bei mehr technischen Aktivitäten oder Sportarten könnte ein Trainer von einer „guten Idee“ zu „absolut notwendig“ aufsteigen, da es absolut keine Möglichkeit gibt, sich die Bewegung selbst beizubringen (die Olympischen Gewichtheberübungen kommen mir hierbei als Beispiel für den Kraftraum in den Sinn). Doch ich werde die vielleicht schlechte Annahme treffen, dass die Leute, die dies lesen, bereits über eine gute Technik verfügen.

Etwas anderes, das ein Trainer häufig liefern kann, ist Motivation. Interessanterweise hängt wie viel Motivation ein Trainer (oder ein persönlicher Trainer) zu liefern hat, von den Leuten ab, die er trainiert. Bei Sportlern, die für gewöhnlich zu stark getrieben sind und zu häufig zu hart trainieren wollen, verbringt ein Trainer mehr Zeit damit, ihren Überschwang unter Kontrolle zu halten. Bei der allgemeinen Öffentlichkeit gilt häufig das Gegenteil. Diese aus ihrer Komfortzone herauszuholen und wirklich arbeiten zu lassen ist der schwere Teil. Ich werde außerdem annehmen (vielleicht inkorrekterweise), dass Ihre Motivation gut ist und Sie niemanden benötigen, der Sie antreibt härter zu trainieren.

So weit so gut, richtig? Wie bei jedem im Internet ist Ihre Technik brillant und Sie trainieren härter als 10 normale Trainierende zusammen. Was kann ich ihnen dann überhaupt noch darüber sagen, wie Sie Ihr eigener Trainer sein können!?

Das Problem: Objektivität

Es gibt im Amerikanischen ein altes Sprichwort: “Ein Mann, der sich selbst vor Gericht verteidigt, hat einen Dummkopf als Klienten.“ Wir könnten dieses Sprichwort erweitern und sagen „Ein Mann, der versucht sein eigener Trainer zu sein, hat einen Dummkopf als zu trainierenden Sportler.“ Und hier ist viel Wahres dran. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass es einen Grund dafür gibt, dass Ärzte häufig eine schlechte Gesundheit aufweisen (und ihre Familienmitglieder nicht behandeln können) und Psychiater völlige Spinner sind.

Und ich denke, dass ich den Grund hierfür mit der Überschrift dieses Bereichs zusammenfassen kann: Objektivität. Einfach ausgedrückt ist es sehr einfach objektiv zu sein, wenn es darum geht, was jemand anderes tun sollte. Menschen machen es die ganze Zeit – sie geben anderen Menschen erstaunlich exzellente Ratschläge, die sie selbst nicht befolgen können.

Warum?

Weil es einfach ist, bei anderen Menschen objektiv zu sein und nahezu unmöglich ist, bezüglich sich selbst objektiv zu sein (oder bezüglich Menschen, zu denen man eine enge emotionale Beziehung hat). Sie stehen den Dingen zu nahe, Sie können sich selbst/Menschen, die Ihnen emotional nahestehen, nicht mit demselben Grad der Objektivität betrachten. Ein Arzt kann seine Familienmitglieder nicht behandeln, da er nicht kalt, klinisch und objektiv sein kann – seine Emotionen werden ins Spiel kommen und dasselbe gilt für das Training.

Die meisten Menschen können bezüglich sich selbst und ihrer Situation nicht objektiv sein. Sie stehen sich zu nahe. Deshalb versuchen Sie die Dinge anders zu erklären. Sie sind anders, ihre Situation ist eine spezielle und einzigartige Situation und all dieser Blödsinn. Doch Sie sind nicht anders, Sie denken nur, dass Sie es sind. Aber Sie haben die Objektivität verloren und Sie sind zu sehr damit beschäftig sich selbst zu erklären, warum der exzellente Rat (der auf jeden anderen außer Sie anwendbar ist) in Ihrer Situation auf irgendeine Art und Weise nicht anwendbar ist.

Lyle McDonalds Masseaufbauprogramm für Fortgeschrittene

Wie ist das auf das Training anwendbar?

Ich habe mit vielen Trainern im Kraftsport- und Ausdauerbereich darüber gesprochen und sie berichteten im Grunde genommen alle dasselbe, was in etwa so klang: „Ich kann mich nicht selbst trainieren. Denn ich sehe mich die Dinge tun, die ich einen Sportler nie tun lassen würde.“

Hier kommt mir ein Beispiel von einem Trainer ins Gedächtnis, der im Allgemeinen einen niedervolumigen, hoch qualitativen Ansatz verwendet, um seine Sportler und Klienten zu trainieren. Doch wenn er selbst im Kraftraum ist, dann beginnt er „alles Mögliche“ zu machen. Ein Satz hier, eine Übung dort, bis er das Doppelte von dem tut, was er einen Sportler tun lassen würde. Es gibt viele solcher Beispiele.

Doch das ist das, was geschieht. Wenn Sie ein Trainer wären, der jemanden beim Trainieren beobachtet und sieht, dass die Technik bei einer Übung schlechter wird oder der Sportler erschöpft aussieht oder die Geschwindigkeit der Bewegung nachlässt oder was auch immer, dann würden Sie den Sportler stoppen und entweder nach Hause schicken oder mit etwas anderem weitermachen lassen. Doch wenn Sie sich selbst trainieren, dann werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit weitermachen. Der Trainingsplan verlangt X und Sie werden X ausführen.

In der Tat resultierte eine meiner wenigen größeren Verletzungen aus etwas dieser Art: Ich trainierte Kreuzheben und meine Form der Übungsausführung ging den Bach runter – ab Wiederholung 3 des Satzes war sie einfach schrecklich. Hätte ich jemanden trainiert, dann hätte ich ihn nach der dritten Wiederholung des Satzes gestoppt. Doch ich habe weitergemacht. Mein Trainingsplan verlangte Sätze a 5 Wiederholungen und deshalb wollte ich, was immer auch komme, 5 Wiederholungen ausführen. Und bei Wiederholung 5 hörte ich ein Knallen, das durch meine ganze Wirbelsäule widerhallte. Ich hatte Glück, ich hatte mit nur ein Band verletzt, anstatt meine Karriere mit einer beschädigten Bandscheibe zu beenden. Doch durch die Ausführung dieser beiden Wiederholungen verlor ich 9 Trainingsmonate, während die Verletzung ausheilte. All das, weil ich etwas getan hatte, das ich in einer Million Jahren niemals jemanden hätte tun lassen, den ich trainiere.

In meinen Zwanzigern war ich in dieser Hinsicht mein größter Feind, da ich Obiges ständig und insbesondere während der Diät tat. Ich sagte den Leuten, dass sie während der Diät etwas Bestimmtes tun sollten (recht standardmäßige Diätansätze zu verwenden) und begann bei meiner eigenen Diät ausnahmslos damit, herumzuprobieren. Ich redete mir ein, dass ich „neue Ideen“ testete oder dass ich irgendwie anders wäre.

Das Gute hieran war jedoch, dass dies Teil des Allgemeinen Lernprozesses war. Ich habe viel darüber gelernt, was nicht funktioniert. Doch das Schlechte war, dass ich immer meine eigenen Fortschritte behinderte, indem ich ein Idiot war und Dinge bei meinem Training oder bei meiner Diät/Ernährung tat, die ich niemals jemanden anderen hätte tun lassen, den ich trainierte. Ich war anders, ich war einzigartig, ich war etwas Besonderes. Nein, ich war einfach nur dumm. Doch das ist häufig die Art und Weise, auf die man lernt (in der Tat sind viele gute Trainer erfolglose Sportler, die während ihrer Karriere alles falsch gemacht haben, aber gelernt haben, wie man NICHT trainiert).

Bevor ich die Lösung fand, die ich als nächstes vorstellen werde, war in diesem Kontext die absolut beste und produktivste Erfahrung, die ich hatte, eine, bei der ich meiner eigenen Dummheit ausweichen konnte. Ich stellte einen grundlegenden Plan auf, wie ich diesen jedem anderen geben würde und ließ einige Freunde mir einmal die Woche eine Email schicken, in der sie mich einfach nur fragten „Hältst Du den Plan ein?“ Indem ich mir selbst die Rechenschaftspflicht auflud (die ein Trainer liefern kann) und ihnen nicht sagen wollte „Nein, ich habe mit dem Plan herumgespielt“, hielt ich mich davon ab alles zu vermasseln, indem ich eine Reihe von Dingen veränderte und Dinge tat, die ich eigentlich besser wissen sollte.

Ich möchte anmerken, dass dies mit Sicherheit ein Ansatz ist, sich selbst zu trainieren: indem man sich selbst einer unabhängigen Seite gegenüber verantwortlich macht (die hoffentlich objektiv ist und einem nicht nur das sagt, was man hören möchte), so dass man den Plan nicht verändert und damit beginnt, sich einen Haufen von Fehlern schönzureden.

Neben dieser Idee werde ich Ihnen zwei einfache Strategien geben, die Sie hoffentlich daran hindern werden, zu Ihrem schlimmsten Feind zu werden.

Lösung 1: Was würde ich jemandem anderen sagen, was er tun soll?

Die erste Lösung ist eine, auf die ich völlig alleine gekommen bin. Ich bin sehr stolz hierauf und es bedurfte lediglich 10 Jahre in diesem Bereich, um sie zu finden. Wenn ich im Kraftraum bin oder Intervalle auf dem Fahrrad durchführe oder was auch immer die Spezifika der Trainingseinheit sind und ich irgendwelche Zweifel bezüglich dem habe, was ich als nächstes tun sollte (sollte ich das Gewicht erhöhen, ein weiteres Intervall ausführen oder den Widerstand erhöhen), frage ich mich selbst einfach folgende Frage:

Was würde ich tun, wenn ich jemanden anderen in dieser Situation trainieren würde?

Ja, das ist alles. Das ist die aufregende Lösung. Dadurch, dass ich dies in diese Begriffe gefasst habe, zwinge ich mich selbst dazu, aus mir herauszutreten und objektiv, oder zumindest objektiver zu sein. Denn wenn die Antwort auf diese Frage sich von dem unterscheiden würde, was ich für mein eigenes Training entscheide, dann gibt es ein Problem. Und wenn ich keinen echten Grund für etwas anderes finden kann (und ich meine hiermit nicht „aber ich will diesen nächsten Satz ausführen“), dann ist die Antwort auf diese Frage gegeben: Ich tue was immer ich meinen Trainierenden sagen würde.

Wenn ich jemandem, den ich trainiere, sagen würde, dass er es für diesen Tag gut sein lassen sollte, es langsamer angehen sollte, zu einer anderen Übung übergehen sollte, dann ist dies genau das, was ich bei meinem eigenen Training tue. Es ist nicht länger eine Frage von dem, was ich tun möchte oder was ich denke, das ich tun sollte. Stattdessen mache ich es zu einer Entscheidung, die von der Antwort auf die Frage „Was würde ich jemandem anderen in dieser Situation sagen“ abhängt. Dies zwingt mich dazu objektiv zu sein, selbst wenn mich die Antwort nicht glücklich macht.

Lösung 2: Das Stellen der Frage liefert die Antwort

Mein Trainer verwendet bei diesem Thema einen geringfügig anderen, aber genauso nützlichen Ansatz. Er ist der Meinung, dass wenn man im Kraftraum, auf dem Rad oder auf dem Eis (Eisschnelllauf, Sie erinnern sich) trainiert und jemals die Frage stellt „Sollte ich den nächsten Satz oder die nächste Wiederholung, den nächsten Start, die nächste fliegende Runde durchführen?“, die Antwort immer nein ist.

Sein Ansatz, der auf nahezu 30 Jahren als Trainer basiert, ist dieser: Wenn Sie irgendwelche Zweifel bezüglich der Klugheit, etwas beim Training zu tun, haben, dann sollten Sie auf Ihr Gehirn hören und es nicht tun. Denn ausnahmslos ist es sowieso dieser letzte Start, dieser letzte Satz, dieses letzte Intervall, bei dem Sie sich irgendwie weh tun und Sie würden die Frage nicht stellen, wenn Sie die Ausführung dieser Aktion nicht sowieso schon in Frage stellen würden. Und die einfache Gegenwart des Zweifels ist ein ausreichender Grund aufzuhören.

Ich möchte anmerken, dass Obiges mehr bei Sportlern anwendbar ist und für die allgemeine Öffentlichkeit eher weniger geeignet ist. Sportler sind immer übermotiviert und wollen immer mehr tun, als sie sollten (einen andere seiner Empfehlungen ist, dass wenn der Sportler seine eigenen Trainingsprogramme aufstellt, er immer das nehmen sollte, was er aufgeschrieben hat und es halbieren sollte, da dies dann wahrscheinlich eine gute Arbeitslast darstellt). Sportler neigen dazu in die Falle zu tappen zu denke, dass sie mehr und mehr und mehr Arbeit benötigen, wenn das, was sie wirklich brauchen, mehr Ruhe und Erholung sind.

Für die allgemeine Öffentlichkeit funktioniert Obiges nicht so gut, da zumindest meiner Erfahrung nach die meisten hiervon von vorne herein nicht wirklich trainieren (oder hart trainieren) wollen. Wenn man sie aufhören lässt, wann immer sie Zweifel daran haben, ob sie trainieren sollten, denn würden sie erst gar nicht trainieren gehen.

Doch wie ich in der Einleitung zu diesem Artikel erwähnt habe, gehe ich von der Annahme aus, dass Sie etwas mehr getrieben als andere sind und in diesem Fall ist sein Ansatz verwendbar: wenn Sie trainieren und irgendwelche Zweifel bezüglich der Ausführung des nächsten Satze, der nächsten Wiederholung oder der nächsten Übung haben, dann ist es Ihr Gehirn, das Ihnen etwas sagt, auf das Sie hören sollten. Wenn Sie die Frage stellen müssen, dann haben Sie bereits die Antwort und die Antwort ist „Nein, tue es nicht.“

Zusammenfassung

Und das wars, ein schneller und schmutziger Weg, Sie bei Ihrem eigenen Training vor sich selbst zu schützen und die Gefahr eines Verlusts der Objektivität zu vermeiden. Es ist schwer genug sein eigener Trainer zu sein, aber es ist noch schwerer, wenn Sie Ihr eigener größter Feind werden, indem Sie Dinge tun, die Sie niemals jemand anderes tun lassen würden. Ich hoffe, dass die beiden obigen Strategien Sie (zumindest manchmal) vor sich selbst schützen werden.