Kohlenhydratzufuhr und Depression

FAQ mit Lyle McDonald

Frage: Ich bin eine 45 Jahre alte Frau. Ich wiege zurzeit 100 Kilo und habe während der letzten drei Monate 14 Kilo abgenommen. Meine Proteinzufuhr liegt bei etwa 120 bis 130 Gramm pro Tag. Ich begrenze meine Kohlenhydratzufuhr auf 180 bis 200 Gramm pro Tag. Ich leide bereits mein ganzes Leben lang unter Depressionen und bemerke, dass ich, wenn ich meine Kohlenhydratzufuhr begrenze, nach 2 oder 3 Monaten langsam in einen depressiven Zustand gelange. Mein Schlaf ist gestört, ich entwickle Angstzustände, werde ziemlich zickig und bin antriebslos. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kohlenhydraten und der Produktion von Neurotransmittern? Wenn ja, wie kann ich die Auswirkungen, die eine geringere Kohlenhydratzufuhr bei mit hat, eliminieren? Ich wäre für jede Information sehr dankbar.

Antwort: Diäten neigen allgemein dazu den Serotoninspiegel im Gehirn zu senken. Dies kann bei anfälligen Menschen Depressionen hervorrufen. Interessanterweise scheint dies mit größerer Wahrscheinlichkeit bei Frauen als bei Männern aufzutreten, da Frauen generell anfälliger für Depressionen sind. Meiner Erfahrung nach können kohlenhydratarme/ proteinreichere Diäten dies verschlimmern.

Zuerst einmal beeinflusst die Nährstoffzufuhr per se die Produktion von Neurotransmittern, wobei dies auf direkten, als auch auf indirekten Wirkungen beruht.

Spezifische Aminosäuren sind auf sehr direktem Weg die Vorläuferstoffe bestimmter Neurotransmitter im Gehirn. Tryptophan ist ein Vorläuferstoff von Serotonin im Gehirn und die Aminosäure Tyrosin ist der Vorläuferstoff von Dopamin (und infolgedessen auch von Adrenalin / Noradrenalin)

Als extremes Beispiel hierfür verwenden Wissenschaftler manchmal etwas, das als akute „Tryptophan-Erschöpfung“ bezeichnet wird (dies wird dadurch erreicht, dass eine Aminosäurelösung verabreicht wird, die alle Aminosäuren außer Tryptophan enthält), um den Serotoninspiegel im Gehirn drastisch zu senken. Mit diesem Test kann bei denjenigen, die anfällig hierfür sind, akute Depressionen hervorgerufen werden. Dies ist jedoch eine recht extreme Art der Intervention, welche die Tryptophanspiegel im Blut massiv (um etwa 80%) reduziert. Während einer Diät sinken die Tryptophanspiegel lediglich um etwa 10%.

Und wie gewöhnlich wird das Ganze noch komplizierter. Die unterschiedlichen Aminosäuren besitzen im Körper unterschiedliche Transporter und einige Aminosäuren verwenden denselben Transporter. Das bedeutet, dass unterschiedliche Aminosäuren um einen Transport konkurrieren können.

Spezifisch relevant für dieses Thema ist die Tatsache, dass verzweigtkettige Aminosäuren (BCAAs), Tyrosin, Phenylalanin und Tryptophan alle denselben Transporter nutzen, der als Large Neutral Amino Acid (LNAA) Transporter bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass sie um einen Transport konkurrieren, was zur Folge hat, dass hohe Spiegel der unterschiedlichen Aminosäuren den Transport vom anderen beeinträchtigen können. Dies bedeutet wiederum, dass die relativen Mengen der unterschiedlichen Aminosäuren beeinflussen werden, wie viel in ein spezifisches Gewebe im Körper gelangt – in unserem Fall das Gehirn.

Wenn z.B. relativ zu den anderen über den LNAA transportierten Aminosäuren eine große Menge an Tryptophan vorhanden ist, dann wird es zu einer höheren Serotonin Produktion im Gehirn kommen. Wenn hingegen relativ zu den anderen über den LNAA transportierten Aminosäuren eine geringere Menge an Tryptophan vorhanden ist, dann wird weniger Tryptophan ins Gehirn transportiert, wodurch die Serotonin Produktion beeinträchtigt wird.

Dies bringt uns zu einem potenziellen Problem einer höheren Proteinzufuhr: die meisten Nahrungsproteine enthalten sehr viel weitere Aminosäuren, die wie Tryptophan über den LNAA transportiert werden. Eine Ausnahme stellt ein Derivat von Wheyprotein namens Alpha-Lactalbumin dar, welches den höchsten Tryptophan Gehalt von allen Nahrungsproteinen aufweist. Aktuelle Studien haben herausgefunden, dass der Konsum dieses Proteins das Verhältnis von Tryptophan zu den anderen LNAA Aminosäuren im Blutkreislauf erhöht, wodurch die Serotonin Synthese im Gehirn höher ausfällt. Während die meisten Nahrungsproteine lediglich etwa 2 Gramm Tryptophan pro 100 Gramm enthalten, enthalten 100 Gramm Alpha-Lactalbumin fast 5 Gramm Tryptophan pro 100 Gramm Protein.

Des Weiteren gibt es eine Interaktion mit der Kohlenhydratzufuhr der Diät. Diäten mit sehr hoher Kohlenhydratzufuhr und niedriger Proteinzufuhr sind dafür bekannt, dass sie die Plasma Tryptophan Spiegel und den Serotoninspiegel erhöhen. Es ist erwähnenswert, dass so lange die Proteinzufuhr nicht auf extrem niedrige Level (unter 5 % der Gesamtkalorienzufuhr) abgesenkt wird, der Einfluss einer hohen Kohlenhydratzufuhr und einer niedrigen Proteinzufuhr im Bezug auf die Auswirkungen auf die Serotonin Spiegel im Gehirn in der realen Welt nicht so massiv ausfällt.

Dies könnte jedoch erklären, warum einige Menschen, die anfällig für Depressionen sind, zu bestimmte Zeiten (Stress, jahreszeitlich bedingte Depressionen) ein starkes Verlangen nach proteinarmen / kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln verspüren – sie versuchen sich hierdurch selbst zu behandeln und den Serotoninspiegel zu erhöhen.

Lassen Sie mich erklären, warum Kohlenhydrate einen Einfluss auf all dies haben kann.  Dadurch wird verständlicher warum eine Reduzierung der Kohlenhydratzufuhr Probleme hervorrufen kann.

Der Grund hierfür ist, dass die Aufnahme von einigen LNAA Aminosäuren (insbesondere verzweigtkettige Aminosäuren) insulinsensitiv ist. Wenn z.B. die Insulinspiegel steigen, dann sinken die Blutspiegel der BCAAs. Dies verschiebt das Verhältnis von Tryptophan zu anderen LNAA Aminosäuren in Richtung von Tryptophan, was zur Folge hat, dass mehr Tryptophan ins Gehirn transportiert wird und möglicherweise die Serotoninproduktion erhöht.

Die Konsequenz hiervon ist, dass wenn die Kohlenhydratzufuhr reduziert wird (und die Zufuhr von qualitativ hochwertigem Protein erhöht wird) das Risiko besteht, dass die Serotoninspiegel reduziert werden. Die erhöhte Aufnahme der anderen LNAA Aminosäuren aus qualitativ hochwertigen Proteinen, der reduzierte Abbau dieser Aminosäuren aufgrund der reduzierten Insulinspiegel und die allgemeinen Auswirkungen einer Diät auf die Plasma Tryptophanspiegel können für Menschen mit einem erhöhten Risiko für Depressionen ein Problem darstellen.

Dies war ein langer Weg, Ihre Frage mit einem klaren „Ja“ zu beantworten.

Sowohl Diäten im Allgemeinen, als auch kohlenhydratarme/proteinreichere Diäten im Speziellen können bei Menschen, die anfällig hierfür sind, Depressionen hervorrufen. Ich finde es jedoch etwas überraschend, dass Ihre recht moderate Zufuhr von Kohlenhydraten und Protein ansehen würde bei Ihnen diese Auswirkungen hervorruft. Doch ein Teil hiervon könnte mit dem Grad der Depressionen, die Sie erleben, zusammenhängen (d.h. mit Ihrer persönlichen, genetisch bedingten Anfälligkeit).

Dies könnte auch erklären, warum es gute zwei bis drei Monate dauert bis diese Symptome bei Ihnen auftreten. Eine sehr kohlenhydratarme (d.h. 100 Gramm pro Tag oder weniger) und/oder proteinreiche Diät würde wahrscheinlich sehr viel schneller zu Problemen führen.

Okay, doch was sind die Lösungen hierfür? Generell würde nicht empfehlen die Proteinzufuhr zu reduzieren und die Kohlenhydratzufuhr zu erhöhen (proteinreichere Diäten besitzen im Bezug auf Gewichts- und Fettabbau eine Reihe von Vorzügen), doch aufgrund der Spezifika Ihrer Situation wäre dies eine Option.

Des Weiteren könnten sie Folgendes in Betracht ziehen:

Fügen Sie das Protein, das ich oben erwähnt habe – Alpha-Lactalbumin – zu Ihrer täglichen Proteinzufuhr hinzu. Da es reich an Tryptophan ist, wird es dabei helfen, die Serotonin-Synthese zu unterstützen. Dieses Protein kurz vor dem Schlafengehen eingenommen, könnte Ihnen mit dem Schlaf helfen, während es zu anderen Tageszeiten konsumiert die allgemeine Stimmungslage verbessern könnte. In diesem Kontext möchte ich anmerken, dass ein relativ gesehen kohlenhydratreicheres/proteinärmeres Abendessen bei einigen Schlafproblemen helfen könnte.

Ziehen Sie eine Supplementation mit 5-Hydroxytryptophan in Betracht. 5-HTP ist ein weiterer Vorläuferstoff von Serotonin im Gehirn, der bei einer Behandlung von Depressionen und Schlafproblemen hilfreich sein könnte. Dosierungen können signifikant variieren, aber 50 bis 100 mg bis zu dreimal täglich eingenommen sind einen Versuch wert, um einen Abfall der Serotoninspiegel während einer Diät zu verhindern.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Ihre Symptome sich erst nach 2 bis 3 Monaten zeigen, würde ich ihnen dringend empfehlen, zwischen Phasen einer Diät eine vollständige Diätpause einzuplanen. Im Grunde genommen erhöhen Sie alle zwei Monate Kalorien- und Kohlenhydratzufuhr für zwei Wochen, um eine Wiederherstellung normaler Serotoninspiegel zu erreichen. Danach können Sie mit einer weiteren Phase des aktiven Diätens beginnen und bevor die Depressionen einsetzen die nächste vollständige Diätpause ein. Ich glaube Sie wissen, worauf ich hinaus will.

Ich hoffe, dass Ihnen dies hilft und viel Glück.

Kommentieren Sie den Artikel

Please enter your comment!
Please enter your name here