Das 1-6 Prinzip wurde erstmals auf der National Strength and Conditioning Association Convention in San Diego im Jahr 1991 von Trainer Dragomir Cioroslan, dem Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles vorgestellt. Dasselbe Satz- und Wiederholungsschema wurde mit großem Erfolg von Elite Gewichthebern in Rumänien und Ungarn verwendet. Dieses Trainingssystem war unter der ungarischen Bezeichnung für „gemischt-neuronales Power-Hypertrophieprogramm“ bekannt.
Dieses System basiert auf dem so genannten „post-tetanic facilitation“-Phänomen, das erstmals in Krafttrainingskreisen vom deutschen Physiologen Dietmar Schmidtbleicher von der Universität Freiburg beschrieben wurde. Kurz gefasst könnt ihr, wenn ihr ein 6RM- Gewicht (das maximale Gewicht, das ihr sechsmal bewältigen könnt) innerhalb von drei bis zehn Minuten nach der Ausführung einer maximalen Einzelwiederholung bewegt, ein höheres Gewicht verwenden, als wenn ihr die Einzelwiederholung nicht ausgeführt hättet.
Sagen wir z.B., dass ihr normalerweise sechs Wiederholungen mit 110 Kilo auf der Schrägbank drücken könnt. Wenn ihr jedoch eine maximale Einzelwiederholung – bei der ihr z.B. 130 Kilo verwenden könnt – vier Minuten vor der Ausführung dieser sechs Wiederholungen absolviert, dann werdet ihr dazu in der Lage sein sechs Wiederholungen mit 112,5 bis 115 Kilo auszuführen. Das ist eine signifikante Steigerung.
In der Tat werden viele Trainierende mit dieser Methode feststellen, dass ihre Gewichte bei den Einzelwiederholungen bei jeder „Welle“ steigern können. Eine typische „Welle“ für jemanden, der 6 Wiederholungen mit 110 Kilo auf der Schrägbank ausführen kann, könnte folgendermaßen aussehen:
- Satz 1 Wiederholung mit 130 Kilo
- Satz 6 Wiederholungen mit 110 Kilo
- Satz 1 Wiederholung mit 135 Kilo
- Satz 6 Wiederholungen mit 112,5 Kilo
- Satz 1 Wiederholung mit 137,5 Kilo
- Satz 6 Wiederholungen mit 130 Kilo
Das ist nicht einfach nur ein Taschenspielertrick. Die grundlegende Voraussetzung ist, dass ihr maximale Gewichte verwendet, um das Nervensystem vorzubereiten. Aufgrund dieses gesteigerten, effizienteren neuronalen Antriebs könnt ihr ein höheres Gewicht für sechs Wiederholungen verwenden, was in einem Aufbau von größeren und stärkeren Muskeln resultieren wird.
Der finnische Kraftphysiologe Keijo Häkkinen hat im Rahmen vieler seiner Experimente gezeigt, dass langfristige Kraftzuwächse direkt damit in Zusammenhang stehen, um wie viel ihr die Intensität erhöht. Aus diesem Grund könnt ihr erwarten mit dieser Methode neue Rekorde bei euren Kraftzuwächsen aufzustellen, da ihr dieses Prinzip der gesteigerten Intensität in vollem Umfang nutzt.
Diese Methode könnte auch von Ringern und Sportlern, die bestimmte Kampfsportarten wie Jiu-Jitsu praktizieren, verwendet werden. Diese Individuen sind häufig daran interessiert, eine Gewichtsklasse aufzusteigen, während sie Ihre Geschwindigkeit aufrecht erhalten. Nun, dieses System wird es euch nicht nur erlauben funktionales Körpergewicht aufzubauen. Auch eure Schnellkraft sollte steigen, da dieses System auch die motorischen Einheiten mit hoher Reizschwelle fordert, die für die Produktion explosiver Kraft verantwortlich sind.
Die olympischen Goldmedaillengewinner Valery Borsov und Ben Johnson führen Kniebeugen mit einem 3RM-Gewicht zehn Minuten vor ihren Rekorde brechenden Sprintleistungen aus, um sich den vollen Effekt der „post-tetanic facilitation“ zu Nutze zu machen.
Wir werden euch nicht länger auf die Folter spannen. Hier ist das Programm. Ihr solltet diesen fünf Tage Zyklus insgesamt sechsmal ausführen. Ihr benötigt also 30 Tage, um dieses Programm zu verwenden.
Hinweis: Für diejenigen, die mit der folgenden Trainingsbeschreibung nicht vertraut sind, sei erwähnt, dass viele Trainingseinheiten in A1- und A2-Schemata unterteilt sind. Bei der ersten Trainingseinheit unten führt ihr z.B. einen Satz SZ-Scottculrs mit mittelweitem Griff mit eurem 1RM-Gewicht aus, pausiert zwei Minuten und führt danach einen Satz enges Bankdrücken mit eurem 1RM-Gewicht aus. Nach zwei weiteren Minuten geht ihr zurück zur A1-Übung, den SZ Scottcurls mit mittelweitem Griff.
Vielleicht wird euch auch die Tempoangabe verwirren, aber kein Grund zur Sorge – diese ist recht einfach. Bei der ersten Übung unten ist z.B. ein 40×0 Tempo angegeben. Dies bedeutet ganz einfach, dass ihr euch für den exzentrischen oder absenkenden Teil der Bewegung 4 Sekunden Zeit lassen sollt. Dann bewegt ihr das Gewicht ohne Pause (0 Sekunden) am tiefsten Punkt der Bewegung explosiv nach oben (was durch ein „X“ angezeigt wird), worauf keine Pause am höchsten Punkt der Bewegung folgt. Wenn ihr ein 3121 Tempo seht, dann bedeutet dies drei Sekunden für das Absenken des Gewichts, gefolgt von einer Sekunde Pause am tiefsten Punkt der Bewegung, zwei Sekunden für das Anheben des Gewichts, worauf eine Sekunde Pause am höchsten Punkt der Bewegung folgt, bevor ihr das Gewicht wieder absenkt.
Tag 1 – Arme
Übung | Sätze | Wdh. | Tempo | Pause | |
A1 | SZ Scottcurls mit mittelweitem Griff | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 40X0 | 2 Min. |
A2 | Enges Bankdrücken | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 40X0 | 2 Min. |
B1 | Langhantelcurls stehend, mittelweiter Griff | 4 | 1,6,1,6 | 40X0 | 2 Min. |
B2 | Dips für Trizeps | 4 | 1,6,1,6 | 40X0 | 2 Min. |
Tag 2 – Beine
Übung | Sätze | Wdh. | Tempo | Pause | |
A1 | Kniebeugen | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
A2 | Beincurls liegend neutrale Fußstellung | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
B1 | Kreuzheben mit der Trap Bar | 4 | 1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
B2 | Wadenheben stehend | 4 | 1,6,1,6 | 22X0 | 2 Min. |
Tag 3 – Trainingsfrei
Tag 4 – Brust und Rücken
Übung | Sätze | Wdh. | Tempo | Pause | |
A1 | Klimmzüge mit engem Griff und Zusatzgewicht | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
A2 | Bankdrücken mit mittelweitem Griff | 6 | 1,6,1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
B1 | Rudern Sitzend am Kabel | 4 | 1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
B2 | Schrägbankdrücken | 4 | 1,6,1,6 | 50X0 | 2 Min. |
Tag 5 – Trainingsfrei
Hinweise
Bevor ihr uns jetzt mit hunderten von Emails bombardiert und fragt, warum das Programm kein Isolationstraining für die Schultermuskeln, die Rotatorenmanschette oder die Unterarme umfasst, solltet ihr euch daran erinnern, dass das Ziel dieses Trainingsprogramms darin besteht, große Zuwächse an Kraft und Querschnittsfläche der motorischen Einheiten mit hoher Reizschwelle zu fördern.
Aus Gründen der „ökonomischen Nutzung der Trainingszeit“, wie Schmidtbleicher sagen würde, solltet ihr euch auf Mehrgelenksübungen wie Kniebeugen und Pressen konzentrieren. Sorry, liebe Fans von Richard Simmons, aber in diesem Programm ist kein Raum für einarmiges Seitheben am Kabelzug oder Trizeps Kickbacks.
Macht euch keine Sorgen, eure Schultermuskeln und Unterarme werden während der 30 Tage nicht „schrumpfen“. Wenn überhaupt, dann werden sie wachsen, da dies wahrscheinlich das erste Mal ist, dass ihr diesen Muskeln eine Pause gönnt.
Da ihr eine Reihe von Übungen mit eurem 1RM-Gewicht ausführt, ist es sehr wichtig, dass ihr euch gut aufwärmt. Das Aufwärmen sollte aus einer Ausführung von ein paar Wiederholungen des ersten Paars der Übungsliste der Trainingseinheit bestehen. Wenn ihr euch gut aufgewärmt habt, besteht keine Notwendigkeit sich für das zweite Paar Übungen aufzuwärmen.
Sagen wir zu Illustrationszwecken, dass wir bei Tag 2 (Beintag) des Programms sind und ihr ein Maximalgewicht von 150 Kilo bei Kniebeugen und 90 Kilo bei Beincurls bewegen könnt. euer Aufwärmprogramm würde dann wie folgt aussehen (nehmt euch genügend Zeit, um von einer Übung zur anderen überzugehen, das Gewicht anzupassen und den Aufwärmteil zu beenden):
Kniebeugen – 5 Wiederholungen mit 65 Kilo
Beincurls liegend mit neutraler Fußstellung – 5 Wiederholungen mit 40 Kilo
Kniebeugen – 3 Wiederholungen mit 90 Kilo
Beincurls liegend mit neutraler Fußstellung – 3 Wiederholungen mit 50 Kilo
Kniebeugen – 2 Wiederholungen mit 110 Kilo
Beincurls liegend mit neutraler Fußstellung – 2 Wiederholungen mit 60 Kilo
Kniebeugen – 1 Wiederholung mit 130 Kilo
Beincurls liegend mit neutraler Fußstellung – 1 Wiederholung mit 70 Kilo
Kniebeugen – 1 Wiederholung mit 140 Kilo
Beincurls liegend mit neutraler Fußstellung – 2 Wiederholungen mit 80 Kilo
Gönnt euch 2 Minuten Pause und beginnt dann mit der Trainingseinheit.
Unter der Vorraussetzung, dass ihr mit maximalen Gewichten arbeitet, solltet ihr wahrscheinlich einen Trainingspartner bei Übungen wie Drücken und Kniebeugen haben. Wenn euch der Gedanke an schwere Einzelwiederholungen Angst einjagt und ihr keinen Trainingspartner finden könnt, könntet ihr das Programm natürlich modifizieren, indem ihr z.B. ein 2-5-2-5-2-5 Satz- und Wiederholungsschema verwenden.
Wenn ihr das Gefühl habt, eure Einzelwiederholung nicht ausführen zu können, dann hört nicht auf euer Ego! Es ist besser eure Trainingsgewichte bei Einzelwiederholungen zu unterschätzen, als zu viel Gewicht zu verwenden und euren Trainingspartner dazu zu zwingen, die meiste Arbeit für euch auszuführen.
Als ihr euch das 1-6 Trainingsprogramm angesehen habt, ist euch vielleicht aufgefallen, dass der konzentrische Bereich immer explosiv ausgeführt wird (was durch ein „X“ angegeben wird). Das ist Absicht, um euch dazu zu zwingen, die motorischen Einheiten mit hoher Reizschwelle zu nutzen. Es kann gut sein, dass ihr die hohen Gewichte langsamer bewegen werdet. Aber hier zählt vor allem, was der kanadische Kraftsportphysiologe, Beim, 1995 gesagt hat: „es ist nicht so sehr die Absicht, sondern mehr die tatsächliche Geschwindigkeit, die die Rekrutierung der motorischen Einheiten diktiert.“ So lange ihr also versucht das Gewicht so schnell wie möglich zu bewegen, werdet ihr von den Vorzügen profitieren. Die aktuellen Arbeiten des slowenischen Kraftsportforschers Gasovic (1998) bestätigen die Notwendigkeit für explosive, konzentrische Kontraktionen für maximale Zuwächse an Kraft und Schnellkraft.
Eine andere wichtige Sache, die ihr euch immer vor Augen halten müsst, besteht darin, akkurate Aufzeichnungen von allen Sätzen und Wiederholungen zu erstellen, um kurzfristige Ziele für jede Trainingseinheit definieren zu können. Im Verlauf eines geeigneten Krafttrainingsprogramms werden sich die Muskeln an den Stress des Trainings anpassen, indem sie stärker werden. Um effektiv zu sein, muss der Stress, dem eure Muskeln ausgesetzt sind, eine Überlastung darstellen. Das bedeutet, höhere Gewichte als bei vorhergehenden Einheiten zu verwenden. Die Erhöhung der Last muss dabei nicht sofort immens sein.
Da dieses Training so fordernd für das Nervensystem ist, kann es gut sein, dass ihr nach den ersten Trainingseinheiten Probleme mit dem Einschlafen haben könntet. Aber keine Angst, das sollte nach sechs Monaten oder so besser werden. Nein, wir machen nur Spaß. Nach zwei oder drei Tagen sollte alles in Ordnung sein.
Nach 30 Tagen werdet ihr dieses Programm glücklicherweise abgeschlossen haben. Zu diesem Zeitpunkt solltet ihr signifikant stärker (und hoffentlich ein paar Kilo schwerer) sein. Nach Beendigung dieses Zyklus würden wir euch empfehlen euch fünf trainingsfreie Tage zu gönnen. Wenn ihr danach mit dem Training weitermacht, solltet ihr mit einem Programm beginnen, das eine höhere Anzahl an Wiederholungen pro Satz verwendet. Z.B. zwei Übungen à fünf Sätze pro Muskelgruppe mit acht Wiederholungen und einem 3210 Tempo.
Dieses Programm könnte euch so sehr helfen, dass ihr vielleicht sogar darüber nachdenken werdet das Bodybuilding aufzugeben, euren Namen in einen slawisch klingenden Namen zu ändern und dem bulgarischen Gewichtheberteam beizutreten. Ihr habt die Qual der Wahl.
Kleine Schritte machen den großen Unterschied
Einer der Nachteile eines jeden Programms, bei dem ihr eure Trainingsgewichte in kleinen Schritten erhöhen müsst, ist der Mangel an Scheiben, die leichter als 1,25 Kilo sind. Ganz offensichtlich wird eine Erhöhung des Trainingsgewichts um 2,5 Kilo ab einem gewissen Punkt in eurer Trainingskarriere einen enormen Sprung darstellen.
Glücklicherweise stellen mehrere Firmen kleine Gewichtsscheiben her, die diesen Sprung bei der Erhöhung des Gewichts besser steuerbar machen. Eleiko Olympic stellt z.B. Scheiben mit 0,5 und 0,25 Kilo Gewicht her.
Natürlich könnt ihr immer auch Verschlüsse für Olympiastangen verwenden, um geringe Steigerungen des Gewichts zu erreichen.