Im Bereich des Bodybuildings bekommen wir immer wieder erzählt, dass unsere Trainingseinheiten nicht länger als 45 Minuten andauern sollten. Warum ist das eigentlich so? Nun, hauptsächlich beruht diese These auf der Annahme, dass nach diesen 45 Minuten unsere körpereigene Testosteronproduktion sinkt. Ob das auch wirklich der Fall ist, klären wir in diesem Artikel!
Denkfehler bei der „45 Minuten Regel“
Jeder weis, dass man sich vor harten Trainingseinheiten immer gut aufwärmen sollte, um Verletzungen vorzubeugen. Gerade im Winter kommt es nicht selten vor, dass man beinahe schon 45 Minuten benötigt, um sich vor dem ersten Satz vollständig warm zu machen. Was soll man dann tun? Direkt nach dem Aufwärmen aufhören, da man das 45 Minuten Limit bereits überschritten hat?
Wir wissen auch, dass eine Supplementation nach dem Training, die sowohl reich an Protein als auch an Kohlenhydraten ist, die Testosteronspiegel negativ beeinflusst. Trotzdem empfiehlt dies jeder unabhängig von dieser hemmenden Wirkung. Wir begrenzen also unser Trainingsvolumen, um unser Testosteron zu schützen. Gleichzeitig beeinträchtigen wir die Testosteronausschüttung ohne Bedenken nach dem Training durch eine protein- und kohlenhydratreiche Mahlzeit. Da soll einer Schlau draus werden!
Natürliches (steroidfreies) Bodybuilding
Wenn Bodybuilding ein so guter Testosteron Booster ist, warum leiden dann so viele ältere Trainierende unter niedrigen Testosteronspiegeln? (ehemaligen Steroidanwender ausgeschlossen) Sind wir alle übertrainiert? Die Antwort ist nein!
Tatsache ist, dass Bodybuilding über einen langen Zeitraum vielleicht nicht so gut für unsere endogene (körpereigene) Testosteronproduktion sein könnte. Wenn man sich wissenschaftliche Untersuchungen ansieht, die die Testosteronausschüttung nach einer intensiven Trainingseinheit gemessen haben, dann wird man herausfinden, dass einige Studien eine Erhöhung zeigen. Andere versagen, wenn es darum geht, eine Auswirkung auf die Testosteronausschüttung zu zeigen. Einige weitere Studie berichten sogar von einer Reduzierung der Testosteronausschüttung. Die Testosteronreaktion auf eine Trainingseinheit ist schwer vorhersehbar. Dennoch kann man einen klaren Trend erkennen: je weiter man fortgeschritten ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man positiv reagiert.
Laktat als wirkungsvoller endokriner Stimulator
Es gibt eine sehr interessante Studie, die diese unterschiedlichen Trends zusammenfasst. Sprinter liefen 400 Meter so schnell wie möglich. Der Lauf dauerte 45 bis 50 Sekunden. Dies ist sehr interessant, da dies die Dauer eines normalen Bodybuilding Satzes ist. Unter diesen Sprintern befanden sich einige von olympischem Kaliber mit etwa 8 Jahren Trainingserfahrung. Andere waren nicht so weit fortgeschritten und trainierten erst seit 4 Jahren. Die Elitesprinter produzierten die meiste Anstrengung innerhalb der geringsten Zeitspanne (45 Sekunden). Ihre Laktatkonzentration im Blut stieg um 1100%. Die weniger fortgeschrittenen Sprinter brauchten 48 Sekunden für die 400 Meter. Da ihre Anstrengungen weniger intensiv waren, stiegen ihre Blutlaktatspiegel nur um 800%. Aufgrund dieser starken Erhöhung der Laktatwerte würde man erwarten, dass die Testosteronspiegel steigen. Während intensiver Anstrengungen sollte das Laktat ein sehr wirkungsvoller endokriner Stimulator sein.
Als ein Resultat dieses intensiven Laufs zeigten sich folgende Veränderungen der Spiegel des Luteneizing Hormons (LH) (das Hormon, das die Testosteronausschüttung auslöst):
Die Spiegel verdoppelten sich bei allen Elitesprintern (+100%)
Bei den weniger fortgeschrittenen Läufern stieg die LH Konzentration nur um 25%. Sie stieg bei den meisten Läufern dieser Gruppe, sank jedoch bei einer Minderheit.
Normalerweise wird eine Erhöhung der LH Spiegel mit einer gesteigerten Testosteronproduktion in Verbindung gebracht. Dies ist das, was man bei den weniger fortgeschrittenen Läufern beobachten konnte, bei denen die Spiegel des freien Testosterons um 27% und die Gesamttestosteronspiegel um 60% anstiegen. Unabhängig davon, wie die LH Spiegel auf das Training reagierten, erlebten alle diese Läufer eine Erhöhung der Testosteronspiegel.
45 Sekunden sind ausreichend, um die Testosteronspiegel zu senken!
Die Testosteronreaktion bei den Elitesportlern war interessanter. Trotz der sehr robusten Erhöhung der LH Konzentration erlebten alle von ihnen eine Reduzierung der Testosteronspiegel. Die Spiegel von freiem Testosteron und Gesamttestosteron sanken um 11% bzw. 26%. So viel zum 45 Minuten Limit, nach dem die Testosteronspiegel zu sinken beginnen können. Wir sehen bei dieser Studie, dass bei fortgeschrittenen Sportlern bereits eine maximale Anstrengung für 45 Sekunden ausreicht, um die Testosteronspiegel zu senken. Diese akute Anstrengung produzierte eine lange anhaltende negative Wirkung. Es dauerte 24 Stunden, bis die Testosteronspiegel dieser Sprinter wieder ihren Normalwert erreichten.
Würde eine Steroidanwendung dieses seltsame Phänomen erklären? Wahrscheinlich nicht, da die Basswerte von Testosteron, LH und Follikel stimulierendem Hormon (FSH) (ein weiteres Testosteron stimulierendes Hormon) vor dem 400 Meter Lauf normal waren.
Erschöpfung der Hoden – eine Erklärung für dieses unerwartete Phänomen?
Die Antwort auf das Paradoxon einer starken Erhöhung der LH Spiegel und einer negativen Testosteronreaktion ist einfach. Die Hoden dieser fortgeschrittenen Sprinter sind „erschöpft“. Ihre konstante Stimulation hat schließlich eine sehr negative Auswirkung auf ihre Kapazität Androgene zu produzieren.
Bei dieser Studie trat diese Erschöpfung nach nur 8 Jahren des Trainings auf. Der Basistestosteronwert ist hiervon noch nicht betroffen. Die Probanden waren auch noch recht jung (25 Jahre alt). Mit mehr Trainingsjahren und wenn man älter wird, wird wahrscheinlich auch die Basistestosteronproduktion leiden. Wahrscheinlich erklärt diese Erschöpfung, warum so viele fortgeschrittene (steroidfreie) Bodybuilder mit niedrigen Testosteronspiegeln oder völlig ohne eigene Testosteronproduktion enden.
Eine beschleunigte Form des Alterns?
Man beachte, dass das freie (bioverfügbare) Testosteron bei beiden Gruppen am stärksten betroffen war. Es stieg bei den am wenigsten erfahrenen Sportlern im Vergleich zum Gesamttestosteron am stärksten an. Es sank bei der Elitegruppe am stärksten. In dieser Hinsicht erinnerte es an eine beschleunigte Form des Alterns. Während wir altern, steigt die Produktion der Proteine, die Testosteron binden, jedes Jahr um 1 %. Wenn die Testosteronproduktion jedes Jahr sinkt, wird der Anteil des freien Testosterons am stärksten negativ beeinflusst.
Was sind die Konsequenzen von Bodybuilding und Erschöpfung der Hoden?
Die “Erschöpfung der Hoden” ist ein Faktor, den man mit in Betracht ziehen sollte, wenn man seine Bodybuilding Karriere plant. Wenn man hierüber nachdenkt, dann sieht die Zukunft düster aus. Bis zu einem Alter von 25 Jahren konnte ich mit Sicherheit sagen, dass eine Trainingseinheit – insbesondere ein Beintraining – meine Testosteronspiegel erhöhte. Mehr als 10 Jahre später ist ein solcher fühlbarer Kick sehr, sehr selten.
Wenn man nicht gerade ein Profibodybuilder werden möchte, sollte man wirklich nicht damit beginnt Steroide zu verwenden, bevor man diese Erschöpfung erreicht.
Kalorienarme Diäten sind offensichtlich nichts Gutes für die Testosteronausschüttung. Eine übermäßige Nahrungszufuhr ist allerdings auch kein sehr starker Stimulator für die Testosteronproduktion. Auf der anderen Seite ist eine zu geringe Nahrungszufuhr ein potenter Hemmer der Testosteronausschüttung. Nach mehreren Jahren der Massephasen könnte eine harte Diät diese Erschöpfung der Hoden beschleunigen.
Die neue Logik für alternde Bodybuilder
Statistische Studien legen nahe, dass Muskeln trotz einer niedrigen Testosteronausschüttung wachsen können. In der Tat hängt das Muskelwachstum mehr mit der Testosteronrezeptordichte als mit den Testosteronspiegeln zusammen. Diese indirekten Resultate legen nahe, dass sich die Testosteronrezeptoren in Abwesenheit von Testosteron selbst aktivieren können, wenn die Muskelkontraktionen intensiv genug sind. Doch im extremen Fall einer Erschöpfung der Hoden könnte eine Testosteron Ersatztherapie die einzige Lösung sein.